Evangelische Kirche Staffort

Die evangelische Kirche Staffort wurde renoviert. Wie ich einen Skandal nicht erkannte. Und warum es trotzdem einen gab.

Tür_1200Dies ist die Kirche meiner Kindheit. Sie steht in dem kleinen Dorf Staffort in der Nähe von Karlsruhe. Es ist eine evangelische Kirche. Ohne Namen. In einer evangelisch geprägten Gemeinde. Zu meiner Zeit waren das ca. 1000 Einwohner. Jeder kannte jeden. Die meisten meiner Freundinnen gingen zur Konfirmation. Wir waren katholisch. Ich ging zu Kommunion. Und trotzdem oft in diese Kirche.

In dieser Kirche wurden damals auch die katholischen Gottesdienste gefeiert. Wir saßen hinter dem Kreuz. Vielleicht zwölf Personen. Manchmal acht. Oder noch weniger. Ich kenne diese Kirche inn- und außwendig. Kannte. Denn nun ist das Gebäude renoviert. Saniert. Umgestaltet. Die technische Infrastruktur ist erneuert. Strom, Heizung, Licht. Ein barrierefreier Zugang wurde geschaffen. Ein Seitenflügel wurde mit einer Glasscheibe abgetrennt, damit kleine Kinder ungestört am Gottesdienst teilnehmen können. Das sind alles sinnvolle und notwendige Maßnahmen.

Altarraum_1200Dennoch bin ich erschrocken, als ich das erste Mal nach der Renovierung in die Kirche trat. Ich besuche zwar noch regelmäßig meinen Vater, aber in der Kirche war ich jahrelang nicht mehr. Zumal die Katholiken es inzwischen geschafft haben, eine alte Tabakscheuer für sich in einen kleinen Kirchenraum umzubauen.

Engel_1200Ich hatte die evangelische Kirche strahelnd in Erinnerung. In Weiß. Hell. Klar. Hier und da ein paar graue Akzente. Aber hauptsächlich weiß. Auch der Engel, ganz in Weiß. Und jetzt? Warme Erdtöne an den Wänden. Sattgrüne Holzemporen. Und der Engel in natur. Die weiße Farbe auf dem Stein ist abgebeizt. Sehe ich Kratzer in seinem Gesicht? Er sieht verletzt aus. Es ist als würde er plötzlich leben. Als würde die ganze Kirche plötzlich leben. Ich bin schockiert.

Kirchenraum_2_1200Der Skandal, von dem mir im Vorfeld erzählt wurde, über den es einen erbitterten Streit in der Pfarrgemeinde gegeben haben muss, selbst die lokale Presse hatte darüber berichtet, diesen Skandal, ihn kann ich allerdings nicht erkennen. Es geht um das neue Kreuz. Das alte Kreuz wurde umgehängt. Hinter dem Altar steht ein, nun ja, … Baum? Das gefällt mir sofort. Ich störe mich viel mehr an einem Detail: bitte nehmt diesen durchsichigen Plastikschutz von der Altartischdecke runter!

Kreuz_1200Die wichtigste Neuerung besteht sowieso darin, dass die Kirche nun geöffnet ist. Eigentlich dachte ich ja immer, das sei eine katholische Tradtition. Passt. Und dass das Holzkruzifix während meines Besuches anfängt zu brennen auch. Dieser Moment ist so schrecklich schön, dass ich anfange ein bisschen rumzuschluchzen. Und jetzt kommt der eigentliche Skandal: noch immer finde ich keine Worte, um zu beschreiben, wie berührend das war, in dieser neu gestalteten Kirche in Staffort. Schluchz.

Maria Himmelfahrt 2013

Die Aufnahme Marias in den Himmel. Ein Dogma. Naja, das halte ich für ein bisschen übertrieben. Dafür gibt es zur Feier des Tages Weihrauch! Weihrauch im Gottesdienst ist das Allerschönste überhaupt.

Weihrauch_1200

Die ganze Kirche duftet. Nach Weihrauch und Kräutern, die um den Altar liegen und von denen sich jeder ein Sträußchen mit nach Hause nehmen kann. Na klar, die sind schön gesegnet, mit Weihwasser und allem drum und dran. Heute bin ich gern katholisch.

Maria_Himmelfahrt_1200

Das dämliche Dogma hab ich am Ende des Gottesdienstes vor lauter Weihrauch schon wieder vergessen. Und meine Sorgen und Ängste auch. Die sind gleich mit verdampft. Wirkt.

Jubiläum im evangelischen Studentinnenwohnheim

Festgottesdienst zum 50jährigen Jubiläum des evangelischen Studentinnenwohnheims am Sonntag, den 9. Juni 2012 um 11 Uhr in der Rüppurer Auferstehungskirche. Anschließend Gartenfest im Studentinnenwohnheim.

Brot_close36 Studentinnen aus 14 Nationen wohnen in einem ruhigen Stadtteil Karlsruhes. Ein Viertel der Bewohnerinnen studiert Physik. Eine von ihnen erzählt: „Mein Studiengang ist immer noch sehr männerdominiert. Ich genieße es, Abends nach Hause zu kommen, in die kleine Gemeinschaftsküche, in der nur Frauen um den Tisch sitzen. Um 19 Uhr gibt es gemeinsames Abendessen, für alle, die Lust darauf haben. Und es ist immer jemand da.“  Mehrere Musikstudentinnen präsentieren Hausmusik – auf Konzertniveau. Jetzt haben sie Hunger. Das Bueffet geht quer durch die Kulturen und Kontinete. Überhaupt ist das gemeinsame Kochen und Essen ein großes Thema. Es verbindet die unterschiedlichen Kulturen und Religionen, denen die jungen Frauen angehören. Der Großteil sind evangelische und katholische Christinnen, im Haus wohnen auch Muslimas und Buddhistinnen.

Fassade_webEine Mathematikstudentin, die Wert darauf legt, dass sie nicht auf Lehramt studiert, führt interessierte Besuchergruppen durch das Haus. Die Zimmer sind im Schnitt 12qm groß: Bett, Schreibtisch, Regal, Schrank. Dusche und Toilette befinden sich in jedem Stockwerk auf dem Gang. Allem Anschein nach sind die Türen original aus den 60er Jahren. Jedes Zimmer verfügt über einen Internetanschluss. Diese Initiative ging vor einigen Jahren von einer Architekturstudentin aus, die alle Kabelkanäle im Haus selbst verlegte. Es erfolgte in den 90er Jahren eine Generalsanierung der Küchen. Auch wurde eine Wärmedämmung angebracht. Trotzdem kann man das ganze Gebäude wohl „nicht mehr zeitgemäß“ nennen. Je kleiner das Wohnheim, desto schwieriger die Finanzierung. Neue Wohnheime werden erst ab einer Größe von mindestens hundert Zimmern gebaut. Eher größer. Damit es sich rechnet. Doch heute ist ein Festtag. Da wird nicht über Geldprobleme gesprochen. Da wird gelobt. Da wird musiziert. Da wird gefeiert.

Gruppenfoto_webDer badische Landesbischof der evangelischen Kirche in Baden persönlich hatte den Festgottesdienst gehalten und ist auch beim Sektempfang anwesend. Eine ganze Reihe an Grußworten eröffnen das Gartenfest, sie unterstreichen alle den Wert der Bildung, wie wichtig es sei, die jungen Menschen in ihrer Ausbildung zu unterstützen. Vielleicht wird es so kommen: Mit Gottesdiensten werden es die christlichen Kirchen nicht mehr schaffen, die Menschen für sich zu gewinnen. Aber als Träger von Kindergärten, Schulen oder Studentenwohnheime, auf diesem Feld können sie die Menschen noch begeistern und binden.

Kurz bevor wir gehen, unterhalte ich mich noch mit dem Mann einer ehemaligen Bewohnerin. „Ich kam damals aus Ghana und habe Informatik studiert. Mein Deutsch war schlecht und ich wusste nicht mal was ein „Login“ ist. Dass meine damalige Freundin und heutige Frau in einem Wohnheim nur für Studentinnen wohnt, habe ich erst im Nachhinein verstanden.“ Er lacht. Die Kinder der beiden rennen in dem riesigen Garten herum. Er fügt noch hinzu: „Wir kommen immer wieder gerne hierher. Das sind Freundschaften für’s Leben.“

 

 

Fronleichnam 2013

Donnerstag, 30. Mai 2013. Über Fronleichnam weiß ich theoretisch nicht so viel. Wenn ich in drei klaren Sätzen erklären sollte, was da gefeiert wird, käme ich doch arg ins Schleudern. Irgendwie weiß ich, dass es ein ganz und gar katholisches Fest ist. Wir zeigen uns. Weil wir zaubern können. So ungefähr. Und leider kann ich das auch nur so salopp sagen, weil mir jeder theologische Ernst fehlt, ob die Realpräsenz von Fleisch und Blut Christi in der Eucharistie nun wahrhaft gegenwärtig ist oder nicht. Einerseits kann ich mir das vorstellen, dass eine Wandlung stattfindet, ja, hört sich verrückt an, trotzdem. Andererseits, kann das doch glauben, wer will. Mit meinem Bruder, einem promovierten Physiker möchte ich das nicht diskutieren. Und mit meiner Freundin, einer evangelischen Pfarrerin würde ich über die unterschiedlichen Interpretationen von Brot und Wein gerne einfach hinwegsehen. Immerhin könnten wir dann gemeinsam Abendmahl feiern.

Praktisch habe ich über die Jahre ein bisschen mehr Erfahrung erworben: Fronleichnam als fromme Übung. Die Kommunionkinder dürfen nochmal ihr Kommunionkleid anziehen. War zumindest in meiner Kindheit so. Und könnte heute noch in besonders katholischen Gegenden so sein. Meine Tochter kam leider nicht in den Genuss, sich als Kommunionkind nochmals richtig schick zu machen. Das kommt davon, wenn man so spät aufsteht und es dann eilig hat. Dazu später mehr. Weiter in der Sammlung meines katholischen Halbwissens: Blütenteppiche schmücken den Prozessionsweg. Kinder streuen Blütenblätter. Der Pfarrer trägt vorneweg die Monstranz. Hostie-to-go sozusagen. Ja, tut mir leid. Den Kalauer „Happy Kadaver“ wollte ich eigentlich auch nicht machen. Das haben Bekannte von uns erledigt, die wir getroffen haben. Dazu passend: unser Sohn sprach von „Froh Leichnam“.

Nein, es muss sich keiner aufregen. Ich will mich nicht lustig machen. Es war sowieso alles ganz anders. Wie immer, wenn nicht Sonntag ist, und ich mich auf meinen verlässlichen Gottesdienst um 11.30 Uhr in der Hauptkirche verlassen kann, muss ich im Internet nachschauen, wo, wann und mit wem welcher Gottesdienst gefeiert wird. Oje: heute Freilichtgottesdienst auf der Seebühne im Stadtgarten um 9.00 Uhr! 9.00 Uhr? Sorry, da haben wir gerade gefrühstückt. Hey, es ist Feiertag! Wir gehen also in die ganz normale Eucharistiefeier. Nix Open Air. Keine Prozession. Es gab nicht mal Weihrauch. Dafür zwei Smash-Hits: Lobe den Herren und Großer Gott, wir loben Dich! Ein genialer Organist. Eine sehr gute Predigt. Und am Ende des Gottesdienstes die Aufforderung des Pfarrers doch noch zur Prozession zu gehen. Alleine. Er hat Recht: Auf meinem Weg wird sich ganz bestimmt die ein oder andere Gelegenheit finden, meinen Glauben zu demonstrieren.

Tabernakel_webP.S. Das Bild, das ich zu diesem Blogbeitrag auswähle, steht nicht wirklich für Fronleichnam. Eine Monstranz müsste her. Aber: es gab heute halt keine. Und, ich meine: in dem Tabernakel werden die Paramente, also die Tischdecken, aufbewahrt. Und die Hostien. Und alles, was für die Wandlung wichtig ist. Das Geheimnis des Glaubens. Ein verschlossenes, mit Edelsteinen geschmücktes Kästchen.

 

 

Maiandacht

Sonntag, 26. Mai 2013. Es regnet seit Tagen. Es ist kalt. Mitten im Mai. Wir haben heute den ganzen Tag noch nicht das Haus verlassen. Das Feuer brennt im Kamin und wir spielen mit den Kindern Karten. Obwohl die Gewinner-Verliererbilanz für jeden Einzelnen so einigermaßen ausgeglichen ist, bricht doch noch der Lagerkoller aus. Nichts wie raus hier. Aber wohin? Sonntagabend, viertel vor sechs. Mein Mann schlägt die Maiandacht vor. Sogar ich zucke kurz zusammen und denke: der spinnt. Da werden die Kinder völlig durchdrehen. Protestieren tun sie jetzt schon. Aber: nichts anmerken lassen. Gummistiefel anziehen. Raus aus der Bude. Natürlich kommen wir zu spät. Und ich weiß nicht, wer sich mehr erschreckt: die sechs Frauen, die vor der Marienstatue sitzen oder wir. Ich mag auch nicht schätzen, ob die die Besucherinnen im Schnitt 70, 80 oder 90 Jahre alt sind. Die Madonna ist mit einem Haufen Tüll und fünf Petunientöpfen dekoriert. Ja, dem Kapitel Topfpflanzen in Kirchenräumen werde ich mich bei Gelegenheit auch nochmal widmen. Wir setzen uns also dazu. Und schon wird der Rosenkranz gebetet.

Rosenkranz beten. Ich erinnere mich noch dunkel, dass meine sehr katholische Oma mich als Kind mit in die Maiandachten genommen hat. Mir kam die Kirche damals sehr groß vor. Die Frauen saßen links. Die Männer rechts. Meine Oma roch nach Kölnisch Wasser. Und es wurde der Rosenkranz gebetet. Ave Maria, Mutter Gottes, voll der Gnade. Du bist gebenedeit unter den Frauen. Und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes: Jesus Christus, der uns den Heiligen Geist gebracht hat. Bitte für uns Sünder. Jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen. Stundenlang wurde das wiederholt. Ave Maria, Mutter Gottes, voll der Gnade. Du bist gebenedeit unter den Frauen. Und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes: Jesus Christus, der uns den Heiligen Geist gebracht hat. Bitte für uns Sünder. Jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen. Das Gebet wird im Wechsel gesprochen. Das Ritual berührt mich sofort.

Während ich mit meinen Gedanken bei meiner toten Oma und alle den anderen Seelen bin, hat unser Sohn ein Spielzeugauto in seiner Jackentasche gefunden und macht einen sehr zufriedenen Eindruck. Unsere Tochter hat Gefallen daran gefunden mit ihrer glockenhellen Kinderstimme alles laut mitzulesen. Das treibt mir vor Rührung fast die Tränen in die Augen. Dieses allerdings auch: Mein Mann singt so schön falsch. Das macht er übrigens immer. Die Damen um ihn herum finden das anscheinend gut. Ist ja auch toll, so ein junger Mann Mitte Vierzig in ihrer Mitte. Damit hatte heute keiner gerechnet. Wir freuen uns alle, dass wir uns gefunden haben und sind uns einig in dem Lied: Maria breit Dein Mantel aus, mach Schutz und Schirm für uns daraus. Wir beten zum Abschluss den Wettersegen. Als wir aus der Kirche kommen, hat er leider noch nicht gewirkt. Es schüttet immer noch. Dafür haben wir jetzt richtig gut gelaunte Kinder, die lachend durch die Pfützen springen.

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Pfingstmontag 2013

Über Pfingsten sind wir unterwegs zu Familie und Freunden. Auf der Autofahrt machen wir eine Pause in Worms. Dort besuchen wir den jüdischen Friedhof „Heiliger Sand“. Es ist der älteste erhaltene jüdische Friedhof in Europa. Er umfasst ca. 2000 Gräber. Viele der Grabsteine stammen aus dem 11. Jahrhundert. Das Grab von Jakob ha-Bachur aus dem Jahr 1076 ist fast 1000 Jahre alt. Die Synagoge in der Stadt ist leider geschlossen. Schade. Wir werden wieder kommen.

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Pfingstsonntag 2013

Pentecoste. Die Bibel ist für mich nach wie vor ein Buch voller unglaublicher Geschichten. Heutige Lesung aus dem Alten Testament: Der Turmbau zu Babel, Genesis 11,1-9. Weltliteratur! Die Lesung aus dem Neuen Testament: die Pfingstgeschichte aus dem Buch der Apostel. „Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ Wahnsinn! Fast alle Lieder des heutigen Gottesdienstes werden auf Latein gesungen. Sehr gut! Es macht nichts, wenn wir nicht immer alles verstehen.

Schalom!

Sonntag, 12. Mai 2013. Ich weiß nicht, was der Unterschied zwischen einer Burschenschaft und einer Verbindung ist. Es interessiert mich auch nicht. Es ist mir auch egal, ob diese Jungs sich Narben ins Gesicht schlagen oder nicht. Auf jeden Fall erschrecke ich mich, wenn ich in die Kirche komme und dort drei Studenten in vollem Wichs stehen. Und dann auch noch mit Säbeln. Ich schaue nicht ins Pfarrblatt. Ich verlasse mich einfach auf die Uhrzeit und gehe dann sonntags in den Gottesdienst. 11.30 Uhr. Ausgeschlafen und gefrühstückt. Also, keine Ahnung, vielleicht waren die angekündigt. Vielleicht sind die nur so was wie eine Folkloretruppe, aus dem Pfadfinderalter raus, auf der Suche nach günstigem Wohnraum im Verbindungshaus. Ich weiß es nicht. Ich will es auch nicht wissen. Was mich aber wirklich nachhaltig irritiert hat: Drei junge Männer ziehen in vollem Wichs und mit Verbindungsfahne durch den Hauptgang in die Kirche ein. Vor dem Altar bleiben sie stehen, kreuzen die Fahne und grüßen das Kreuz in militärischer Manier. So kam es zumindest mir vor. Was soll das, bitte? Die Verbindung feiert ihr 92. Jubiläum, gab der Pfarrer als kurze Erläuterung zu Beginn des Gottesdienstes. Aha.

Während des gesamten Gottesdienstes standen die drei Bürschchen mit ihrer Fahne mehr oder weniger stramm am Rande der Gemeinde. Und ich wunderte mich noch immer, als ich aus der Predigt aufschnappte „… die ihre Religiosität in einem anderen Stile leben“. Ist das etwa eine Aufforderung an mich, den weiß gekleideten Jungs und ihren Alten Herren toleranter zu begegnen. Nein. Ich wusste gerade noch so, dass aus der Offenbarung vorgelesen worden war: „Selig ist, wer sein Kleid wäscht, er hat Anteil am Baum des Lebens?“ Ja, doch, von dieser Stelle aus war der Pfarrer inzwischen beim Thema Ökumene angekommen. So ganz selbstverständlich. Mit Überzeugung und Ideen. Das würde ich doch gerne nochmal nachlesen. Schade, dass die Predigttext nicht auf der Homepage der Gemeinde steht. Und schade auch, dass wir an Pfingsten beim angekündigten Ökumenegottesdienst der beiden großen City-Seelsorgeeinheiten nicht zu Hause sein werden.

Eigentlich war ich nach der inspirierenden Predigt wieder ganz ausgeglichen, sogar zufrieden. Aber dann kam der Friedensgruß. Nach dem Beten des „Vater unser“ geben sich die Gottesdienstbesucher die Hand und wünschen sich gegenseitig: „Friede sei mit Dir“. Ich gebe meinem Mann die Hand und sage „Friede sei mit Dir!“ und mein Mann erwidert den Friedensgruß mit den gleichen Worten. Ich gebe meiner Tochter die Hand – und wir wünschen uns gegenseitig Frieden. Ich gebe auch meinem Sohn die Hand zum Friedensgruß. Dann gebe ich noch den Menschen hinter, vor oder neben mir die Hand und wünsche ihnen Frieden. Und dieses Handreichen mit Frieden wünschen, es erfüllt mich fast jedes Mal, Achtung, mit Frieden. Zank und Streit der letzten Woche – er fällt von mir ab. Einfach so. Man sollte mal durch die Einkaufstraße laufen und den Menschen mehr Frieden wünschen. Auf einen Handschlag wären ein Haufen Probleme verschwunden. Ok., ich übertreibe. Aber folgendes ist heute wirklich passiert: meistens geht auch der Pfarrer zu den Gemeindemitgliedern und gibt Einzelnen die Hand. Heute kam er zu uns. „Schalom“ sagte er zu mir. Schalom! Das ist Hebräisch! Ich kann gar kein Hebräisch, denke ich als erstes. Dann denke ich, na ja, es wird schon „Frieden“ bedeuten. Und zu Hause schaue ich bei wikipedia nach – und es bedeutet noch viel mehr: „Der hebräische Begriff Schalom [שלום] (englische Schreibweise: shalom) bedeutet zunächst Unversehrtheit, Heil, Frieden; es ist damit nicht nur Befreiung von jedem Unheil und Unglück gemeint, sondern auch Gesundheit, Wohlfahrt, Sicherheit und Ruhe.“

Schalom! Schalom! Schalom!

Das Versagen der Religionen

Mann. Natürlich: immer wieder die Frage nach dem Namen. Frido Mann. Lieblingsenkel von Thomas Mann. Auch an diesem Abend die Einstiegsfrage: „Wie lebt es sich mit diesem Namen?“ Darauf gibt er eine abgeklärte Antwort. Ungefähr: „Mal so. Mal so.“ Nachlesen kann man das alles in seiner Autobiografie „Achterbahn. Ein Lebensweg“. Heute Abend geht es um sein neues Buch „Das Versagen der Religionen. Betrachtungen eines Gläubigen“, erschienen im Kösel Verlag.

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Frido Mann ist also nicht nur als Enkel von Thomas Mann zu dieser Lesung gekommen. Hineingeboren in die große Schriftstellerfamilie wuchs er hauptsächlich in der Schweiz bei seiner Großmutter Katia Mann auf. Er ist studierter Musiker, promovierter Theologe und Diplom Psychologe. Als Professor für Psychologie arbeitete er bis 1990 als Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie. Heute Abend steht sein theologischer Hintergrund im Vordergrund. Oder besser: seine persönlichen Glaubenserfahrungen.

Angezogen von der Liturgie, wie er sagt, konvertierte er in seiner Jugend von der evangelischen zur katholischen Kirche. Unter Ratzinger als Papst trat er 2009 wieder aus der katholischen Kirche aus. Als Anstoß nennt er die Wiederannäherung der katholischen Kirche an den Holocaustleugner Richard Williamson. Auch interessant: sein Sohn ist Quäker.

Nach der kurzen, persönlichen Vorstellung beginnt er, aus seinem neuen Buch zu lesen: „Aber auch die heute besonders in Europa wachsende Zahl der Konfessionslosen, der aus der Kirche Ausgetretenen oder der reinen Steuerzahlungschristen, die nicht (mehr) an einen persönlichen Gott glauben wollen und daher auf eine Teilnahme am kirchlichen Gemeindeleben verzichten und trotzdem ernsthaft und nachhaltig nach einem Lebenssinn suchen, stehen zahlreiche alternative Möglichkeiten offen.“

So ist es. Ich schaue mich im Publikum um. Schwer einzuschätzen, wer hier was sucht. Ungefähr 30 Leute, Altersdurchschnitt um die 70 Jahre. Ich wundere mich, dass so wenig junge Menschen da sind. Man kann Mann nur mehr Publikum wünschen. Vielleicht schon auf dem Kirchentag in Hamburg. Am Donnerstag, dem 2. Mai 2013, im Großen Saal der Patriotischen Gesellschaftist eine grundlegende Debatte über Religion angekündigt. „Ohne Tabus“ wird Frido Mann mit dem evangelischen Theologen und Kirchenkritiker Klaus Peter Jörns, dem Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer sowie der langjährigen Fernseh-Pfarrerin Mechthild Werner und Sprechwissenschaftlerin Ulrike Trebesius-Bensch diskutieren (11 bis 13 Uhr). Aber wer geht schon auf den Kirchentag?

Manns Vision: Der Glaube als individualisierter Prozess mit regionaler Prägung. Die Trennung von Kirche und Staat. Die Finanzierung nach amerikanischem Modell. Doch er selbst stellt fest: „Davon sind wir meilenweit entfernt.“ Weiter geht es in seinem Buch: „In jedem Fall hat sich nach den Entwicklungen der vergangenen Jahrhunderte vor allem im christlichen Abendland in der Einstellung der Menschen zu Religionen und zu religiöser Praxis so viel geändert, dass die Grenzen zwischen Religion, Spiritualität, Transzendenz, Transpersonalität oder auch nur dem Streben nach personeller Entfaltung, Vertiefung oder Vervollkommnung fließend geworden sind.“

Religiöse Erbauung kann also überall stattfinden. In der Kunst. Im Konzert. In der Natur. Beim Spaziergang. Mann schlägt den Bogen noch weiter. Er glaubt, dass in diesen völker- kultur- und religionsübergreifenden Erfahrungen Gemeinsamkeiten geschaffen werden, die die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam verbinden. Sein überzeugendstes Beispiel: das West-Eastern-Divan-Orchestra, ein Symphonieorchester, das sich aus jungen Musikerinnen und Musikern aus Israel, Arabien und Andalusien zusammensetzt und sich einmal im Jahr für eine Probenperiode mit anschließender Tournee trifft.

Mann_signiert_1000

Am Ende des Abends gibt es die Möglichkeit, das Buch zu kaufen und signieren zu lassen. Diese Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen. Und – was schreibt er hinein? Seinen Namen. Mann. Frido Mann. Sonst nichts.

Eine gute Stunde

Werde, was Du bist – das nehme ich heute mit aus dem Gottesdienst. Auf welches Evangelium sich die Predigt bezog? Schon wieder vergessen. Wie ich die Predigt fand? Ich kann es gar nicht so genau sagen. Irgendwie kam bei mir an: werde, was du bist. Dieser Gedanke gefällt mir. Kann auch sein, dass mir statt sonntags in die Kirche zu gehen, eine Stunde Yoga oder Fahrrad fahren gut tun würde. Oder einen Schal stricken. Oder einfach nur die Wand anstarren. Aber ich sitze inzwischen gerne auf einer Holzbank und lausche den alten Texten und dem Orgelspiel. Fragen aufwerfen. Fragen verwerfen. Große Fragen. Kleine Fragen. Blöde Fragen – gibt’s ja zum Glück nicht. Kann ich mir also schon mal überlegen, was wir nächste Woche essen könnten. Ist auch schon passiert. In so einem Gottesdienst hat man ja eine gute Stunde Zeit. Man muss sich manchmal eben überraschen lassen, womit man dann nach Hause geht.

Paris Père Lachaise

20140814_130303_resized_114.8.2014, Paris. Friedhofstourismus. Dieser Begriff beschreibt ungefähr das, was man an einem Vormittag im August auf dem größten Friedhof von Paris erleben kann: Père Lachaise. Mit Rucksäcken  und Lageplänen erkunden ganze Trauben von Touristen die Wege und Gräber der stadtähnlichen Anlage. Die Hauptstraßen haben Namen und sind mit dem Autor befahrbar. Einige der Gräber sind so groß wie Gartenpavillons. Überlebensgroße Engel aus Marmor bewachen die Eingänge der Mausoleen. Kunstvoll gehauene Steine verzieren die Fundamente von Obelisken. Manche Areale wiederum sehen ungepflegt aus. Die Gräber sind zerfallen, Gitter rosten windschief vor sich hin, das Moos wächst auf den Steinen. Auf dem Boden liegt mitten im Sommer eine dicke Laubschicht. Dorthin verirrt sich fast niemand. Es ist still. Und ein bisschen unheimlich. Folgt man dann wieder dem Menschenstrom, gelangt man an das Grab von Jim Morrison. Ein Baum ist mit einer Bastmatte geschützt, weil er immer wieder mit Kaugummis beklebt wird. Um das Grab herum ist ein ganzes Areal abgesperrt. Man trifft sich dort, unterhält sich, lacht und raucht. Nur ein paar Schritte weiter, öffnet sich ein Platz mit Bänken. Darauf sitzen Menschen und essen. Ein Autokonvoi rollt vorbei. Angeführt von einem schwarzen VW-Bus, in dessen Fond sich ein Sarg mit Blumenkränzen befindet. Neugierige Blicken mustern die Angehörigen. Die Trauernden weinen hemmungslos. Jemand knipst das.

Ökumenischer Gottesdienst im ZKM

20140323_184009Sonntag, 23.03.2013. Ein ökumenischer Gottesdienst im Rahmen der Ausstellung Global Activism im Kalsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) am Sonntagabend. In einem der Lichthöfe der ehemaligen Munitonsfabrik war mitten zwischen den Ausstellungstücken bestuhlt. Davor ein Stehpult, ein Mikro, fertig. Ja, ja, auch hier das übliche Publikum, so Ü60. Und auch das Musikprogramm ziemlich klassisch: mickriger Gesang bei den Bob-Dylan Songs (englisch!), die von einem netten jungen Mann auf der Gitarre begleitet wurden. Und ziemlich schepprige Elektro-Orgel, die von einem altehrwürdigen Profiorganist bearbeitet wurde.

wallinger_1200Aber: das war gut. Sehr gut! Weil es mir so schön weit weg von Kirchenmuff vorkam. Weil es politisch war. Weil es in einem Rahmen stattfand, der nicht nach katholischem Prunk oder evangelischem Pietismus roch. Man wurde direkt konfrontiert, zum Beispiel mit einem Stück des Originalzauns der Wutbürger von Stuttgart 21 oder einer Installation aus Zelten, wie man sie beim occupy-Protest vor den Frankfurter Bankentürmen und im Gezi-Park gesehen hat. Auch Marc Wallingers Installation gegen den Irak-Krieg, die er 2007 vor Westminster aufgebaut hatte, war ausgestellt. Da fiel mir doch gleich der Text von letztem Sonntag aus Mt. 17, 7b wieder ein: Steht auf, habt keine Angst! Und genau mit dieser Haltung bin ich in die Woche gegangen. Danke!

20140323_195014Weitere Infos auf:

Deutschlandradio Kultur

Spiegel Online Kultur

Holy holy holy!

AR_208_Seraphim_Und ich hatte mich schon gewundert, ob die sechsflügeligen Engel aus der Mode gekommen sind. Mir gefallen sie. Seraphim, Cherubim und andere Sorten. Nein, ich kenne mich nicht sehr gut in der Engelhierachie aus. Aber ich weiß, dass die Seraphim um Gottes Thron schwirren und „Heilig, heilig, heilig!“ singen. Oder schreien. Mit einem Paar Flügel halten sie sich dabei die Augen zu. Mit einem anderen Paar Flügel bedecken sie ihre Füße. Warum eigentlich? Und mit dem dritten Paar fliegen sie. Wohin? Direkt in die Welt der Mangas. Hoohoohooly!

Links: Seraph aus dem Kloster Nea Moni auf der griechischen Insel Chios. Gefunden auf wikipedia.

Rechts: Picture by akarui.Online Art Community www.deviantart.com.

Christmette Heilig Abend 2013

Christmette_120024.12.2012, 23 Uhr. Einer schläft. Alles wacht. Unser jüngster Sohn ist während der Christmette eingeschlafen und war auch nach dem Gottesdienst nicht mehr zu wecken. Komisch, wir waren in der vollbesetzten Kirche die einzige Familie mit Kindern. Ja, es gibt einen Kindergottesdienst mit Krippenspiel am Nachmittag. Aber die Atmosphäre dort ist nicht mit der nächtlichen Feststimmung in der Kirche zu vergleichen. Keine Unruhe, nur tiefseelige Ergriffenheit. Doch, das Heimschleppen hat sich gelohnt.

 

Evangelische Martinskirche Gruibingen

3.11.2013, Sonntagsgottesdienst bei einer Pfarrerin, die vier Kinder hat, predigen kann und gut aussieht. In einer Kirche mit mittelalterlichen Fresken, in die ziemlich scheußliche Fenster hineingehauen wurden. Oh Jesses! Alles wie im richtigen Leben, da in Gruibingen auf der Schwäbischen Alb. Hat uns sehr gut gefallen.

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Taufe meiner Nichte Emma

Sonntag, 29. September 2013, Altdorf, Bayern. Wir haben unsere Toten in der Familie. Und wir haben unsere Kinder. Es ist nicht auszuschließen, dass sie miteinander in Verbindung stehen. Immerhin ist die kleine Emma am Todestag ihrer viel zu früh gestorbenen Oma geboren. Ich finde das unheimlich. Und sehr tröstlich.

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Maria Himmelfahrt 2013

Die Aufnahme Marias in den Himmel. Ein Dogma. Naja, das halte ich für ein bisschen übertrieben. Dafür gibt es zur Feier des Tages Weihrauch! Weihrauch im Gottesdienst ist das Allerschönste überhaupt.

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Die ganze Kirche duftet. Nach Weihrauch und Kräutern, die um den Altar liegen und von denen sich jeder ein Sträußchen mit nach Hause nehmen kann. Na klar, die sind schön gesegnet, mit Weihwasser und allem drum und dran. Heute bin ich gern katholisch.

Maria_Himmelfahrt_1200

Das dämliche Dogma hab ich am Ende des Gottesdienstes vor lauter Weihrauch schon wieder vergessen. Und meine Sorgen und Ängste auch. Die sind gleich mit verdampft. Wirkt.

Das Versagen der Religionen

Mann. Natürlich: immer wieder die Frage nach dem Namen. Frido Mann. Lieblingsenkel von Thomas Mann. Auch an diesem Abend die Einstiegsfrage: „Wie lebt es sich mit diesem Namen?“ Darauf gibt er eine abgeklärte Antwort. Ungefähr: „Mal so. Mal so.“ Nachlesen kann man das alles in seiner Autobiografie „Achterbahn. Ein Lebensweg“. Heute Abend geht es um sein neues Buch „Das Versagen der Religionen. Betrachtungen eines Gläubigen“, erschienen im Kösel Verlag.

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Frido Mann ist also nicht nur als Enkel von Thomas Mann zu dieser Lesung gekommen. Hineingeboren in die große Schriftstellerfamilie wuchs er hauptsächlich in der Schweiz bei seiner Großmutter Katia Mann auf. Er ist studierter Musiker, promovierter Theologe und Diplom Psychologe. Als Professor für Psychologie arbeitete er bis 1990 als Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie. Heute Abend steht sein theologischer Hintergrund im Vordergrund. Oder besser: seine persönlichen Glaubenserfahrungen.

Angezogen von der Liturgie, wie er sagt, konvertierte er in seiner Jugend von der evangelischen zur katholischen Kirche. Unter Ratzinger als Papst trat er 2009 wieder aus der katholischen Kirche aus. Als Anstoß nennt er die Wiederannäherung der katholischen Kirche an den Holocaustleugner Richard Williamson. Auch interessant: sein Sohn ist Quäker.

Nach der kurzen, persönlichen Vorstellung beginnt er, aus seinem neuen Buch zu lesen: „Aber auch die heute besonders in Europa wachsende Zahl der Konfessionslosen, der aus der Kirche Ausgetretenen oder der reinen Steuerzahlungschristen, die nicht (mehr) an einen persönlichen Gott glauben wollen und daher auf eine Teilnahme am kirchlichen Gemeindeleben verzichten und trotzdem ernsthaft und nachhaltig nach einem Lebenssinn suchen, stehen zahlreiche alternative Möglichkeiten offen.“

So ist es. Ich schaue mich im Publikum um. Schwer einzuschätzen, wer hier was sucht. Ungefähr 30 Leute, Altersdurchschnitt um die 70 Jahre. Ich wundere mich, dass so wenig junge Menschen da sind. Man kann Mann nur mehr Publikum wünschen. Vielleicht schon auf dem Kirchentag in Hamburg. Am Donnerstag, dem 2. Mai 2013, im Großen Saal der Patriotischen Gesellschaftist eine grundlegende Debatte über Religion angekündigt. „Ohne Tabus“ wird Frido Mann mit dem evangelischen Theologen und Kirchenkritiker Klaus Peter Jörns, dem Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer sowie der langjährigen Fernseh-Pfarrerin Mechthild Werner und Sprechwissenschaftlerin Ulrike Trebesius-Bensch diskutieren (11 bis 13 Uhr). Aber wer geht schon auf den Kirchentag?

Manns Vision: Der Glaube als individualisierter Prozess mit regionaler Prägung. Die Trennung von Kirche und Staat. Die Finanzierung nach amerikanischem Modell. Doch er selbst stellt fest: „Davon sind wir meilenweit entfernt.“ Weiter geht es in seinem Buch: „In jedem Fall hat sich nach den Entwicklungen der vergangenen Jahrhunderte vor allem im christlichen Abendland in der Einstellung der Menschen zu Religionen und zu religiöser Praxis so viel geändert, dass die Grenzen zwischen Religion, Spiritualität, Transzendenz, Transpersonalität oder auch nur dem Streben nach personeller Entfaltung, Vertiefung oder Vervollkommnung fließend geworden sind.“

Religiöse Erbauung kann also überall stattfinden. In der Kunst. Im Konzert. In der Natur. Beim Spaziergang. Mann schlägt den Bogen noch weiter. Er glaubt, dass in diesen völker- kultur- und religionsübergreifenden Erfahrungen Gemeinsamkeiten geschaffen werden, die die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam verbinden. Sein überzeugendstes Beispiel: das West-Eastern-Divan-Orchestra, ein Symphonieorchester, das sich aus jungen Musikerinnen und Musikern aus Israel, Arabien und Andalusien zusammensetzt und sich einmal im Jahr für eine Probenperiode mit anschließender Tournee trifft.

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Am Ende des Abends gibt es die Möglichkeit, das Buch zu kaufen und signieren zu lassen. Diese Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen. Und – was schreibt er hinein? Seinen Namen. Mann. Frido Mann. Sonst nichts.

Besuch in einer Moschee

Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, die Merkez-Moschee in Karlsruhe zu besichtigen. Die Türkisch Islamische Gemeinde in Karlsruhe wurde vor 25 Jahren gegründet und gehört dem Dachverband DITIB an. Sie hat nach eigenen Angaben ca. 250 Mitglieder. Zum Freitagsgebet versammeln sich dort regelmäßig bis zu 800 Muslime. An Feiertagen ist die Zahl deutlich höher. Das Gebäude befindet sich in einem alten Fabrikgebäude in einem gut entwickelten Industriegebiet.

Nicht nur der Gebetsraum sei inzwischen zu klein, auch die Gemeinschafts- und Versammlungsräume. Deshalb hat die Gemeinde angekündigt, dass sie ein neues Gemeinde- und Begegnungszentrum bauen möchte. Die Reaktionen darauf in der lokalen Presse und in den Kommentarspalten der hiesigen Onlinezeitung spiegeln zum Teil große Ängste, gewollte Halbwahrheiten und echten Hass wider.

Während der Führung erklären der Imam Ahmet Arslan, sowie zwei Gemeindemitglieder (eine Frau und ein Mann), wie eine Moschee aufgebaut ist. Wir erfahren, wie die Gemeinde organisiert ist. Auch die Grundzüge des muslimischen Glaubens werden skizziert. Die Atmosphäre ist entspannt und offen. Auf jede Frage wird eine Antwort gegeben. Kritische Themen wurden allerdings nicht angesprochen. Ich selbst wollte wissen: Wo wird in der Moschee der Koran aufbewahrt? (Er liegt im Bücherregal. Er darf überall sein. Nur nicht auf dem Boden.) Was ist in der Kaaba? (Nichts. Dann folgt die etwas längere Geschichte von Adam, der das Haus in Mekka baute. Bis hin zu Abraham, der es wieder aufbaute.)

Wir haben Kinder dabei. Auf die Frage, ob es nicht störe, wenn sie im Gebetsraum rumrennen, erhielt ich vom Imam die Antwort, dass er selbst drei Kinder habe. Er hat dabei gelacht. Und habe ich mich verhört, oder hat er tatsächlich gesagt, dass die hier ab und zu Fußball spielen?! Wir haben während der Führung den Gebetsraum, den Aufenthaltsraum und den Versammlungsraum  gesehen. Und die Küche, mmh, lecker! Dort laufen schon die Vorbereitungen für das 15. Kulturfest. Es wird an Pfingsten stattfinden. Ich glaube, da schaue ich nochmal vorbei. Mich hat nämlich ganz besonders die Herzlichkeit der Frauen begeistert. Die meisten Jüngeren sprechen fließend Deutsch. Ihre Kinder gehen mit unseren in die Schule. Es ist diese kommende Generation, die den Religions- und Integrationsfrieden leben muss. Wir können ja schon mal damit anfangen.

 

Esel, welcher Esel?

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Palmsonntag. Der Beginn der Karwoche. Der Sonntag vor Ostern. Der Pfarrer kommt im blutroten Gewand. Die Kinder haben Palmwedel mit bunten Bändern gebastelt. Mit Weihwasser und Weihrauch wird heute richtig katholisch gefeiert.  Auch die Prozession vom Hinterhof der Kirche zum Hauptportal ist nicht peinlich. Vielleicht, weil dabei nicht gebetet und gesungen wurde. Es war eher so eine Art Spaziergang. Mein sechsjähriger Sohn erkennt die außergewöhnliche Situation und ist zufrieden. Die Kinder sind immer ein guter Gradmesser, ob die Dramaturgie stimmt.

Die Kirche ist voll. Sehr voll. Wo sind die denn bitte sonst alle? Ich singe heute besonders laut mit bei „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Meine Lieblingsstelle in der Liturgie, das Halleluja, wird es bis Ostern nicht geben. Aber dann wieder mit Glockenklang und Geschepper!

Das Evangelium von der Passion Christi wird mit verteilten Rollen gelesen. Ich bin dankbar, dass alle drei Redner klar und deutlich sprechen können. Das ist nicht selbstverständlich. Nuschler, Tuschler, Zischler – alles schon erlebt. Und die Passionsgeschichte ist lang, wenn sie vorgelesen wird. Ungefähr zwanzig Minuten. Ein bewegender Moment:  an der Textstelle, wo Jesus am Kreuz stirbt knien alle in der Kirche nieder. Und verharren eine Weile in Stille. Stille. Eine kleine Hand schiebt sich in meine. Aha, wirkt.

Neue Erkenntnisse? Ja, man muss erhöht werden, um erniedrigt zu werden.  Was ich nochmal nachgucken muss: welche Rolle spielt der Esel? Ansonsten: nix zu meckern.