Weihnachtssingen 2013

Am vierten Advent waren wir alle zusammen im Weihnachtssingen im Theater. War das ein Gottesdienst, oder was? Jedes Jahr geben das Orchester, Chören, Solisten und Tänzern die schönsten Weihnachtslieder zum Besten. Vor spektakulärer Kulisse: einem prächtig geschmückten Tannenbaum, mindestens vier Meter hoch, eher zehn, meinen die Kinder. Begonnen wurde dieses Jahr mit dem Vorlesen der Weihnachtsgeschichte und einem gregorianischen Choral. Am Schluss zum Mitsingen: „Tochter Zion“, „Oh, Du fröhliche!“ und  „Stille Nacht“. Mit Inbrunst schmetterten die 1000 Besucherinnen und Besucher im großen Saal die Weihnachtsbotschaft. Hier und dort sah ich auch ein paar Tränen fließen. Es war aber auch zuuu schöööön. Wieso gibt es sowas eigentlich nicht in der Kirche? Adventssingen für alle. Beim Fußballclub Union Berlin geht es doch auch. Vielleicht nicht ganz so besinnlich. Aber sie füllen damit ein ganzes Stadion: s’ist, als ob Engelein singen, Lieder von Liebe und Freud. So hört sich das dann an, bitte hier klicken: Weihnachtssingen Union Berlin.

Lichterlabyrinth

Lichterlabyrinth_1200_bearbeitet-1Direkt vor dem Weihnachtsmarkt mit seinen bunten Buden und bimmelnden Karusells haben Nonnen mit Teelichtern in Gläsern ein Lichterlabyrinth errichtet. Viele Menschen bleiben stehen und schauen. Einige gehen schweigend durch das Kerzenmeer. Kinder hüpfen kreuz und quer die Wege entlang. Wir bleiben dort fast eine halbe Stunden hängen, obwohl nur wenige Meter weiter der versprochene Flammkuchen wartet. Den Prospekt, der dazu auslag, habe ich leider kurz darauf verloren. Macht nix, habe direkt vor Ort was in die Spendenbüchse gesteckt. Für was? Keine Ahnung. Hey, es ist Weihnachten!

 

Religion in der Schule

Unsere Kinder gehen in eine Grundschule in der Innenstadt. Siebzig Prozent der Kinder haben Migrationshintergrund. Da sind zum Beispiel Jekaterina, Ludovico, Faria, Apollo, Hamza, Nidanur, Janosch und Ali. Ihre Eltern sind Professoren an der Uni, Richter am Landesgericht, Ingenieure oder Architekten. Andere Eltern beziehen Hartz IV. Die meisten Eltern arbeiten als Verkäuferin, Versicherungskaufrau, Arzthelferin oder Buchhalter. Es gibt aber auch ein paar Kreative wie Galeristen, Verleger oder Illustratoren.

Ich schätze, dass ein Drittel der Kinder konfessionslos ist. Ein weiteres Drittel ist muslimisch. Und ein Drittel der Kinder ist christlich getauft. Davon ist der kleinste Teil katholisch. In manchen Jahrgangsstufen sind es nur ein oder zwei katholische Kinder. Sie kommen aus unterschiedlichen Seelsorgeeinheiten, sehen sich im Regelfall nicht beim Kindergottesdienst und gehen nur zusammen zum Kommunionsunterricht, wenn man sie dementsprechend ummeldet.

In Baden-Württemberg gibt es für die Grundschulen keinen Ethikunterricht. Deshalb haben die Kinder, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, frei. Das bedeutet, dass sie dann von der Schule betreut werden müssen. Gerne werden die Religionstunden deshalb in die erste oder letzte Stunde gelegt: die Kinder schlafen länger oder gehen früher nachhause – oder in die schuleigene Betreuung, die ohnehin für die Kernzeit von 7.30 bis 14.00 Uhr verantwortlich ist.

An unserer Schule findet der Religionsunterricht nachmittags statt. Auch für die Erstklässler. Es gab das Gerücht, dass die Lehrerin, eine ältere Dame, nicht zweimal in der Woche kommen wolle, denn einzelne Randstunden wären im Stundenplan noch frei gewesen. Wie gesagt, ein Gerücht. Ich kenne die Frau nicht persönlich und weiß nur, dass sie mit den Kindern gerne Mandalas ausmalt und bastelt. Das soll keine Wertung sein. Ist nur eine Beobachtung, was die Kinder nach ihrer Doppelstunde am Nachmittag im Schulranzen haben.

Weihnachtsgottesdienst oder Friedensfest

Obwohl also immer weniger Kinder in den Religionsunterricht gehen, gibt es an unserer Schule einen Weihnachtsgottesdienst. Mir persönlich wäre es auch am liebsten, wenn alle daran teilnehmen würden, egal ob getauft oder nicht und zusammen „Oh, Du Fröhliche!“ singen.  Ganz so einfach ist es aber nicht.

Es gibt eine Mutter, die sich bis zum Landtag hoch beschwert hat, dass ihr Kind nicht mit in die Schulgottesdienste muss. Das ist ihr gutes Recht. Sie bezeichnet sich selbst als Atheistin. Wie der Betreuer sie nennt, der die Einzelbetreuung für ihren Sohn übernehmen muss, weiß ich nicht.

Weicht man also auf ein Friedensfest für alle aus? Diese Frage wird an unserer Schule seltsamerweise überhaupt nicht gestellt. Auch nicht von den muslimischen Eltern. Im Kindergarten habe ich allerdings folgendes erlebt: Obwohl der Träger des Kindergartens die Evangelische Kirche war, wurde der St. Martinsumzug in „Lichterfest“ umgetauft. Ansonsten blieb alles, wie es war – mit St. Martinsspiel, Dambedeis, Laternen und jeder Menge nicht getaufter und andersgläubiger Kinder, die laut und inbrünstig „Rabimmel Rabammel Rabumm“ sangen. Viele von ihnen bekommen von ihren Eltern an Weihnachten sogar Geschenke.

Inzwischen gibt es alle möglichen Familienkonstellationen und Glaubensmodelle. Ehrlich gesagt, blicke ich schon lange nicht mehr richtig durch. Es ist ja auch nicht das Erste, was man fragt: „Woran glaubt Ihr eigentlich?“ Es ergibt sich nebenbei. Maria, die Inderin wünscht mir zum Beispiel frohe Feiertage. Rainer, der alleinerziehende Vater geht mit seinem Sohn Skifahren. Manche berichten ungefragt, dass sie Weihnachten hassen – und meinen damit vielleicht ihre Schwiegermutter. Andere gehen sowieso immer nur an Heilig Abend in die Kirche. Und die aus der Kirche ausgetreten sind, gehen an Weihnachten einfach mal wieder in die Kirche. Was soll’s? Eine Kollegin von mir meinte neulich: „Es geht um Liebe. Das ist universal.“ Da hat sie auch irgendwie Recht. Und wäre das nicht auch ein schönes Schulfach?

 

Totensonntag 2013

 

Tod und Leben beim Wein

 

Der Tod und das Leben

verabredeten sich zu einem Glas Wein.

Es war Sonntag und draußen regnete es.

Die Kneipe war voll und sehr laut.

Zum Glück hatten sie ganz hinten

einen Tisch reserviert.

Sie nahmen Platz und

bestellten den Wein.

Wie immer rot für den Tod

und weiß für das Leben.

Oder umgekehrt?

Es ist lange her.

Ich weiß es nicht mehr.

„Zum Wohl!“, sagte das Leben.

„Auf Deine Gesundheit!“,

antwortete der Tod.

 

Sie kannten sich lange,

doch waren sie allein,

so war es, so ist es,

so wird es immer sein,

der Tod und das Leben beim Wein.

 

„Leben“, sagte der Tod,

„ich bin müde zu sehen,

wie Menschen sterben.“

Da sagte das Leben:

„Tod, ich kann dich so gut

verstehen. Mir geht es genau so.

Ich bin müde zu sehen,

wie Menschen geboren werden.

Prost!“

 

„Leben“, sagte der Tod,

„Ich habe die ganzen Morde,

Begräbnisse und Trauerreden satt!“

Da sagte das Leben:

„Tod, ich kann dich so gut verstehen.

Mir geht es genauso.

Ich habe die ganzen

Taufen, Geburtstage

und Geburtstagsreden satt!“

 

Sie kannten sich lange,

doch waren sie allein,

so war es, so ist es,

so wird es immer sein,

der Tod und das Leben beim Wein.

 

„Lass uns eine Weile tauschen“,

sagte der Tod.

„Gute Idee!“, sagte das Leben.

Und sie tauschten.

Sie tranken ihren Wein,

schwiegen gemeinsam,

rauchten ihre Zigaretten.

Und als es aufhörte zu regnen, gingen sie.

„Lebewohl, Leben“, sagte der Tod.

„Todsicher, Tod“,

antwortete das Leben.

Und seitdem ist es so.

 

Sie kannten sich lange,

doch waren sie allein,

so war es, so ist es,

so wird es immer sein,

der Tod und das Leben beim Wein.

 

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Alvaro Solar

Socken, Lügen und Wein

Haben Sie heute schon gelogen?

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Fußballturnier

Sonntag, 10.11.2013, Fußballturnier für die Kinder. Von 8.30 Uhr bis 11.30 Uhr. Ja, richtig gelesen: 8.30 Uhr! Von wegen Ausschlafen … da wäre es gemütlicher gewesen, in den Gottesdienst zu gehen. Der fängt in unserer Gemeinde erst um 11.30 Uhr an, eine sehr schöne Zeit. Da kann man lange schlafen und gemütlich frühstücken. Für Frühaufsteher gibt es Sonntags auch um 9.00 Uhr einen Gottesdienst und für Spätzünder einen um 19.00 Uhr. Ehrlich gesagt war ich zu diesen Zeiten noch nie in der Kirche. Auch den Mittwochs-Gottesdienst habe ich noch nie besucht. Frühschicht, Rosenkranz, Rorate-Messe, Stille Anbetung, Laudes, Beichte – das Angebot hier in der Stadt ist riesig. Laut Pfarrblatt kann ich bis Anfang Dezember täglich (!) in mindestens (!) drei Gottesdienste gehen. Die Gottesdienste finden zu allen möglichen Tageszeiten statt, alle Kirchen der Seelsorgeeinheit sind für mich gut erreichbar. Doch es ist manchmal schwierig für uns, wenigstens einmal pro Woche in die Kirche zu gehen. Wenn am Sonntag etwas anderes auf dem Programm steht, finde ich es kein bisschen schlimm, dass der Kirchgang ausfällt. Ich habe nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Typisch Hobbykatholikin. Toooor!

Paris Père Lachaise

20140814_130303_resized_114.8.2014, Paris. Friedhofstourismus. Dieser Begriff beschreibt ungefähr das, was man an einem Vormittag im August auf dem größten Friedhof von Paris erleben kann: Père Lachaise. Mit Rucksäcken  und Lageplänen erkunden ganze Trauben von Touristen die Wege und Gräber der stadtähnlichen Anlage. Die Hauptstraßen haben Namen und sind mit dem Autor befahrbar. Einige der Gräber sind so groß wie Gartenpavillons. Überlebensgroße Engel aus Marmor bewachen die Eingänge der Mausoleen. Kunstvoll gehauene Steine verzieren die Fundamente von Obelisken. Manche Areale wiederum sehen ungepflegt aus. Die Gräber sind zerfallen, Gitter rosten windschief vor sich hin, das Moos wächst auf den Steinen. Auf dem Boden liegt mitten im Sommer eine dicke Laubschicht. Dorthin verirrt sich fast niemand. Es ist still. Und ein bisschen unheimlich. Folgt man dann wieder dem Menschenstrom, gelangt man an das Grab von Jim Morrison. Ein Baum ist mit einer Bastmatte geschützt, weil er immer wieder mit Kaugummis beklebt wird. Um das Grab herum ist ein ganzes Areal abgesperrt. Man trifft sich dort, unterhält sich, lacht und raucht. Nur ein paar Schritte weiter, öffnet sich ein Platz mit Bänken. Darauf sitzen Menschen und essen. Ein Autokonvoi rollt vorbei. Angeführt von einem schwarzen VW-Bus, in dessen Fond sich ein Sarg mit Blumenkränzen befindet. Neugierige Blicken mustern die Angehörigen. Die Trauernden weinen hemmungslos. Jemand knipst das.

Ökumenischer Gottesdienst im ZKM

20140323_184009Sonntag, 23.03.2013. Ein ökumenischer Gottesdienst im Rahmen der Ausstellung Global Activism im Kalsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) am Sonntagabend. In einem der Lichthöfe der ehemaligen Munitonsfabrik war mitten zwischen den Ausstellungstücken bestuhlt. Davor ein Stehpult, ein Mikro, fertig. Ja, ja, auch hier das übliche Publikum, so Ü60. Und auch das Musikprogramm ziemlich klassisch: mickriger Gesang bei den Bob-Dylan Songs (englisch!), die von einem netten jungen Mann auf der Gitarre begleitet wurden. Und ziemlich schepprige Elektro-Orgel, die von einem altehrwürdigen Profiorganist bearbeitet wurde.

wallinger_1200Aber: das war gut. Sehr gut! Weil es mir so schön weit weg von Kirchenmuff vorkam. Weil es politisch war. Weil es in einem Rahmen stattfand, der nicht nach katholischem Prunk oder evangelischem Pietismus roch. Man wurde direkt konfrontiert, zum Beispiel mit einem Stück des Originalzauns der Wutbürger von Stuttgart 21 oder einer Installation aus Zelten, wie man sie beim occupy-Protest vor den Frankfurter Bankentürmen und im Gezi-Park gesehen hat. Auch Marc Wallingers Installation gegen den Irak-Krieg, die er 2007 vor Westminster aufgebaut hatte, war ausgestellt. Da fiel mir doch gleich der Text von letztem Sonntag aus Mt. 17, 7b wieder ein: Steht auf, habt keine Angst! Und genau mit dieser Haltung bin ich in die Woche gegangen. Danke!

20140323_195014Weitere Infos auf:

Deutschlandradio Kultur

Spiegel Online Kultur

Holy holy holy!

AR_208_Seraphim_Und ich hatte mich schon gewundert, ob die sechsflügeligen Engel aus der Mode gekommen sind. Mir gefallen sie. Seraphim, Cherubim und andere Sorten. Nein, ich kenne mich nicht sehr gut in der Engelhierachie aus. Aber ich weiß, dass die Seraphim um Gottes Thron schwirren und „Heilig, heilig, heilig!“ singen. Oder schreien. Mit einem Paar Flügel halten sie sich dabei die Augen zu. Mit einem anderen Paar Flügel bedecken sie ihre Füße. Warum eigentlich? Und mit dem dritten Paar fliegen sie. Wohin? Direkt in die Welt der Mangas. Hoohoohooly!

Links: Seraph aus dem Kloster Nea Moni auf der griechischen Insel Chios. Gefunden auf wikipedia.

Rechts: Picture by akarui.Online Art Community www.deviantart.com.

Christmette Heilig Abend 2013

Christmette_120024.12.2012, 23 Uhr. Einer schläft. Alles wacht. Unser jüngster Sohn ist während der Christmette eingeschlafen und war auch nach dem Gottesdienst nicht mehr zu wecken. Komisch, wir waren in der vollbesetzten Kirche die einzige Familie mit Kindern. Ja, es gibt einen Kindergottesdienst mit Krippenspiel am Nachmittag. Aber die Atmosphäre dort ist nicht mit der nächtlichen Feststimmung in der Kirche zu vergleichen. Keine Unruhe, nur tiefseelige Ergriffenheit. Doch, das Heimschleppen hat sich gelohnt.

 

Evangelische Martinskirche Gruibingen

3.11.2013, Sonntagsgottesdienst bei einer Pfarrerin, die vier Kinder hat, predigen kann und gut aussieht. In einer Kirche mit mittelalterlichen Fresken, in die ziemlich scheußliche Fenster hineingehauen wurden. Oh Jesses! Alles wie im richtigen Leben, da in Gruibingen auf der Schwäbischen Alb. Hat uns sehr gut gefallen.

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Taufe meiner Nichte Emma

Sonntag, 29. September 2013, Altdorf, Bayern. Wir haben unsere Toten in der Familie. Und wir haben unsere Kinder. Es ist nicht auszuschließen, dass sie miteinander in Verbindung stehen. Immerhin ist die kleine Emma am Todestag ihrer viel zu früh gestorbenen Oma geboren. Ich finde das unheimlich. Und sehr tröstlich.

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Maria Himmelfahrt 2013

Die Aufnahme Marias in den Himmel. Ein Dogma. Naja, das halte ich für ein bisschen übertrieben. Dafür gibt es zur Feier des Tages Weihrauch! Weihrauch im Gottesdienst ist das Allerschönste überhaupt.

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Die ganze Kirche duftet. Nach Weihrauch und Kräutern, die um den Altar liegen und von denen sich jeder ein Sträußchen mit nach Hause nehmen kann. Na klar, die sind schön gesegnet, mit Weihwasser und allem drum und dran. Heute bin ich gern katholisch.

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Das dämliche Dogma hab ich am Ende des Gottesdienstes vor lauter Weihrauch schon wieder vergessen. Und meine Sorgen und Ängste auch. Die sind gleich mit verdampft. Wirkt.

Das Versagen der Religionen

Mann. Natürlich: immer wieder die Frage nach dem Namen. Frido Mann. Lieblingsenkel von Thomas Mann. Auch an diesem Abend die Einstiegsfrage: „Wie lebt es sich mit diesem Namen?“ Darauf gibt er eine abgeklärte Antwort. Ungefähr: „Mal so. Mal so.“ Nachlesen kann man das alles in seiner Autobiografie „Achterbahn. Ein Lebensweg“. Heute Abend geht es um sein neues Buch „Das Versagen der Religionen. Betrachtungen eines Gläubigen“, erschienen im Kösel Verlag.

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Frido Mann ist also nicht nur als Enkel von Thomas Mann zu dieser Lesung gekommen. Hineingeboren in die große Schriftstellerfamilie wuchs er hauptsächlich in der Schweiz bei seiner Großmutter Katia Mann auf. Er ist studierter Musiker, promovierter Theologe und Diplom Psychologe. Als Professor für Psychologie arbeitete er bis 1990 als Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie. Heute Abend steht sein theologischer Hintergrund im Vordergrund. Oder besser: seine persönlichen Glaubenserfahrungen.

Angezogen von der Liturgie, wie er sagt, konvertierte er in seiner Jugend von der evangelischen zur katholischen Kirche. Unter Ratzinger als Papst trat er 2009 wieder aus der katholischen Kirche aus. Als Anstoß nennt er die Wiederannäherung der katholischen Kirche an den Holocaustleugner Richard Williamson. Auch interessant: sein Sohn ist Quäker.

Nach der kurzen, persönlichen Vorstellung beginnt er, aus seinem neuen Buch zu lesen: „Aber auch die heute besonders in Europa wachsende Zahl der Konfessionslosen, der aus der Kirche Ausgetretenen oder der reinen Steuerzahlungschristen, die nicht (mehr) an einen persönlichen Gott glauben wollen und daher auf eine Teilnahme am kirchlichen Gemeindeleben verzichten und trotzdem ernsthaft und nachhaltig nach einem Lebenssinn suchen, stehen zahlreiche alternative Möglichkeiten offen.“

So ist es. Ich schaue mich im Publikum um. Schwer einzuschätzen, wer hier was sucht. Ungefähr 30 Leute, Altersdurchschnitt um die 70 Jahre. Ich wundere mich, dass so wenig junge Menschen da sind. Man kann Mann nur mehr Publikum wünschen. Vielleicht schon auf dem Kirchentag in Hamburg. Am Donnerstag, dem 2. Mai 2013, im Großen Saal der Patriotischen Gesellschaftist eine grundlegende Debatte über Religion angekündigt. „Ohne Tabus“ wird Frido Mann mit dem evangelischen Theologen und Kirchenkritiker Klaus Peter Jörns, dem Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer sowie der langjährigen Fernseh-Pfarrerin Mechthild Werner und Sprechwissenschaftlerin Ulrike Trebesius-Bensch diskutieren (11 bis 13 Uhr). Aber wer geht schon auf den Kirchentag?

Manns Vision: Der Glaube als individualisierter Prozess mit regionaler Prägung. Die Trennung von Kirche und Staat. Die Finanzierung nach amerikanischem Modell. Doch er selbst stellt fest: „Davon sind wir meilenweit entfernt.“ Weiter geht es in seinem Buch: „In jedem Fall hat sich nach den Entwicklungen der vergangenen Jahrhunderte vor allem im christlichen Abendland in der Einstellung der Menschen zu Religionen und zu religiöser Praxis so viel geändert, dass die Grenzen zwischen Religion, Spiritualität, Transzendenz, Transpersonalität oder auch nur dem Streben nach personeller Entfaltung, Vertiefung oder Vervollkommnung fließend geworden sind.“

Religiöse Erbauung kann also überall stattfinden. In der Kunst. Im Konzert. In der Natur. Beim Spaziergang. Mann schlägt den Bogen noch weiter. Er glaubt, dass in diesen völker- kultur- und religionsübergreifenden Erfahrungen Gemeinsamkeiten geschaffen werden, die die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam verbinden. Sein überzeugendstes Beispiel: das West-Eastern-Divan-Orchestra, ein Symphonieorchester, das sich aus jungen Musikerinnen und Musikern aus Israel, Arabien und Andalusien zusammensetzt und sich einmal im Jahr für eine Probenperiode mit anschließender Tournee trifft.

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Am Ende des Abends gibt es die Möglichkeit, das Buch zu kaufen und signieren zu lassen. Diese Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen. Und – was schreibt er hinein? Seinen Namen. Mann. Frido Mann. Sonst nichts.

Besuch in einer Moschee

Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, die Merkez-Moschee in Karlsruhe zu besichtigen. Die Türkisch Islamische Gemeinde in Karlsruhe wurde vor 25 Jahren gegründet und gehört dem Dachverband DITIB an. Sie hat nach eigenen Angaben ca. 250 Mitglieder. Zum Freitagsgebet versammeln sich dort regelmäßig bis zu 800 Muslime. An Feiertagen ist die Zahl deutlich höher. Das Gebäude befindet sich in einem alten Fabrikgebäude in einem gut entwickelten Industriegebiet.

Nicht nur der Gebetsraum sei inzwischen zu klein, auch die Gemeinschafts- und Versammlungsräume. Deshalb hat die Gemeinde angekündigt, dass sie ein neues Gemeinde- und Begegnungszentrum bauen möchte. Die Reaktionen darauf in der lokalen Presse und in den Kommentarspalten der hiesigen Onlinezeitung spiegeln zum Teil große Ängste, gewollte Halbwahrheiten und echten Hass wider.

Während der Führung erklären der Imam Ahmet Arslan, sowie zwei Gemeindemitglieder (eine Frau und ein Mann), wie eine Moschee aufgebaut ist. Wir erfahren, wie die Gemeinde organisiert ist. Auch die Grundzüge des muslimischen Glaubens werden skizziert. Die Atmosphäre ist entspannt und offen. Auf jede Frage wird eine Antwort gegeben. Kritische Themen wurden allerdings nicht angesprochen. Ich selbst wollte wissen: Wo wird in der Moschee der Koran aufbewahrt? (Er liegt im Bücherregal. Er darf überall sein. Nur nicht auf dem Boden.) Was ist in der Kaaba? (Nichts. Dann folgt die etwas längere Geschichte von Adam, der das Haus in Mekka baute. Bis hin zu Abraham, der es wieder aufbaute.)

Wir haben Kinder dabei. Auf die Frage, ob es nicht störe, wenn sie im Gebetsraum rumrennen, erhielt ich vom Imam die Antwort, dass er selbst drei Kinder habe. Er hat dabei gelacht. Und habe ich mich verhört, oder hat er tatsächlich gesagt, dass die hier ab und zu Fußball spielen?! Wir haben während der Führung den Gebetsraum, den Aufenthaltsraum und den Versammlungsraum  gesehen. Und die Küche, mmh, lecker! Dort laufen schon die Vorbereitungen für das 15. Kulturfest. Es wird an Pfingsten stattfinden. Ich glaube, da schaue ich nochmal vorbei. Mich hat nämlich ganz besonders die Herzlichkeit der Frauen begeistert. Die meisten Jüngeren sprechen fließend Deutsch. Ihre Kinder gehen mit unseren in die Schule. Es ist diese kommende Generation, die den Religions- und Integrationsfrieden leben muss. Wir können ja schon mal damit anfangen.

 

Esel, welcher Esel?

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Palmsonntag. Der Beginn der Karwoche. Der Sonntag vor Ostern. Der Pfarrer kommt im blutroten Gewand. Die Kinder haben Palmwedel mit bunten Bändern gebastelt. Mit Weihwasser und Weihrauch wird heute richtig katholisch gefeiert.  Auch die Prozession vom Hinterhof der Kirche zum Hauptportal ist nicht peinlich. Vielleicht, weil dabei nicht gebetet und gesungen wurde. Es war eher so eine Art Spaziergang. Mein sechsjähriger Sohn erkennt die außergewöhnliche Situation und ist zufrieden. Die Kinder sind immer ein guter Gradmesser, ob die Dramaturgie stimmt.

Die Kirche ist voll. Sehr voll. Wo sind die denn bitte sonst alle? Ich singe heute besonders laut mit bei „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Meine Lieblingsstelle in der Liturgie, das Halleluja, wird es bis Ostern nicht geben. Aber dann wieder mit Glockenklang und Geschepper!

Das Evangelium von der Passion Christi wird mit verteilten Rollen gelesen. Ich bin dankbar, dass alle drei Redner klar und deutlich sprechen können. Das ist nicht selbstverständlich. Nuschler, Tuschler, Zischler – alles schon erlebt. Und die Passionsgeschichte ist lang, wenn sie vorgelesen wird. Ungefähr zwanzig Minuten. Ein bewegender Moment:  an der Textstelle, wo Jesus am Kreuz stirbt knien alle in der Kirche nieder. Und verharren eine Weile in Stille. Stille. Eine kleine Hand schiebt sich in meine. Aha, wirkt.

Neue Erkenntnisse? Ja, man muss erhöht werden, um erniedrigt zu werden.  Was ich nochmal nachgucken muss: welche Rolle spielt der Esel? Ansonsten: nix zu meckern.