Storytelling

Einzug_600pixSonntag, 23. Februar 2013. Natürlich gehe ich nicht wegen der Predigt in den Gottesdienst. Ich bin ja nicht evangelisch, liegt mir da auf der Zunge. Aber vielleicht ist das zu kurz gegriffen. Die Messe als Meditation. Ja, auch. Aber es ist in der Tat ein Glücksfall, wenn im Gottesdienst ein starker Bibeltext auf eine gute Predigt trifft. So geschehen mit dem Evangelium Matthäus 5,38-48:

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel. Bibel_600pixUnd wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm. Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab. Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist.“

Abendmahl_600pixWas für ein Text! Schätzungsweise 350 Menschen haben ihn an diesem Sonntag gehört, die Kirche war gut besucht. Die Predigt hat mich berührt. Auch wenn ich sie aus der Erinnerung nicht wiedergeben kann. Deshalb würde ich manche Predigten gerne nochmal im Netz nachlesen. Für die Details. Für weitere Gedanken. Vielleicht sogar um Kommentare zu hinterlassen. Kann ja auch vorkommen, dass ich angezupt  werde und mir ins Ohr geflüstert wird: Mama, wie lange dauert es noch? Und dann habe ich vielleicht schon einen entscheidenden Satz des Pfarrers verpasst. Unsere Kinder sind sieben und neun Jahre alt, sie haben es sich angewöhnt, die Predigt auszusitzen. Kein Rumgehampel. Kein Spielzeug. Kein Buch. Für sie ist der Höhepunkt das Glöckchengeklingel während der Wandlung. Übrigens auch eine gute Story: Brot in Fleisch und Wein in Blut verwandeln. Irgendwie kommt es mir vor, dass Christen auf einem wirklich reichen Schatz an Geschichten und Texten sitzen. Sie müssen einfach wieder besser erzählt werden. So wie an diesem Sonntag.

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Sonntag, 16. Februar 2014. In einer kleinen schwäbischen Gemeinde besuche ich den Sonntagsgottesdienst um 9.00 Uhr. Die alte, gemütliche Kirche hat Platz für ungefähr fünfzig Personen. Bereits eine halbe Stunde vor Beginn sind die Organistin, die Mesnerin und die Pfarrerin da. Auch die ersten Gottesdienstbesucher kommen und unterhalten sich stehend im Gang. Man kennt sich. Man spricht und scherzt  miteinander. Wie es der kranken Schwiegermutter so gehe. Was die Tochter mache. Die Stimmung ist herzlich und offen. Aber dann: kaum beginnt der Gottesdienst sitzt fast jeder in einer eigenen Reihe. Und zwar nicht in den vorderen, sondern schön weit hinten. Warum ist das nur so?

Mariä Lichtmess 2014

Kerzen_vor_Altar_1200

Sonntag, 2. Februar 2014. Vierzig Tage nach Weihnachten. Die Tage werden wieder länger. Licht. Im Gottesdienst werden die Kerzen geweiht, die im Laufe des Jahres in der Kirche verwendet werden. Mariä Lichtmess war früher ein besonderer Tag im Bauernjahr. Hier klicken für einen Bericht aus der Augsburger Allgemeinen. Für mich persönlich wird er immer mit dem Tod meiner Großmutter verbunden sein. Natürlich brennt an diesem Tag eine Kerze für sie bei uns.

Kerzenverkauf_1200pix

Wir zünden zu allen möglichen Gelegenheiten Kerzen an. Geburtstage, Sonntagsfrühstück, für Verstorbene, im Advent und manchmal einfach so. Deshalb kaufen auch wir am Kerzenstand geweihte Kerzen für zu Hause. Es gibt sie in den verschiedensten Größen: Taizee-Kerzen, Stumpenkerzen, Altarkerzen, Grablicher.

Blasiussegen_1200pix

Im Anschluss gibt es noch den St. Blasius-Segen. Ja, ich gebe zu, das Ganze ist schon ein großer Hokuspokus. Der Pfarrer hält zwei gekreuzte, brennende Kerzen vor den Gläubigen und spricht: „Der allmächtige Gott schenke dir Gesundheit und Heil. Er segne dich auf die Fürsprache des heiligen Blasius durch Christus, unsern Herrn.“ Ich versuche nicht ganz so zweifelnd zu schauen. Und was soll’s. Unsere Kinder sind sich jetzt ganz sicher, dass sie ab sofort ohne ihre lästigen Mützen herumlaufen können. Ob das so gedacht war?

Holy holy holy!

AR_208_Seraphim_Und ich hatte mich schon gewundert, ob die sechsflügeligen Engel aus der Mode gekommen sind. Mir gefallen sie. Seraphim, Cherubim und andere Sorten. Nein, ich kenne mich nicht sehr gut in der Engelhierachie aus. Aber ich weiß, dass die Seraphim um Gottes Thron schwirren und „Heilig, heilig, heilig!“ singen. Oder schreien. Mit einem Paar Flügel halten sie sich dabei die Augen zu. Mit einem anderen Paar Flügel bedecken sie ihre Füße. Warum eigentlich? Und mit dem dritten Paar fliegen sie. Wohin? Direkt in die Welt der Mangas. Hoohoohooly!

Links: Seraph aus dem Kloster Nea Moni auf der griechischen Insel Chios. Gefunden auf wikipedia.

Rechts: Picture by akarui.Online Art Community www.deviantart.com.

Taufe Jesu

Weihnachtsbaum_1000Sammelstelle_100012.1.2014 Heute ist das Ende der Weihnachtszeit. Habe ich mir sagen lassen. Heute wird die Taufe Jesu gefeiert. Allerdings ohne uns. Wir hatten keine Zeit in die Kirche zu gehen. Macht nichts. Früher dauerte die Weihnachtszeit eine ganze Woche länger. Hörte ich. Bis Maria Lichtmess. Gut so. Denn wir hatten heute auch keine Zeit, den Christbaum abzuschmücken. Da sind unsere Nachbarn wohl schneller als wir, wie man an der Sammelstelle vor der Haustür sieht. Habe mal gesehen, dass Elefanten im Zoo sehr gerne Nadelbäume essen. Dann fängt für die jetzt hoffentlich eine ganz besondere Festzeit an. Auch wenn sie auf unseren Baum noch eine Woche warten müssen. Guten Appetit!

Heilige Drei Könige 2014

6. Januar 2014. Die Sternsinger waren da! Mit ihrem goldenen Stern und in selbst gemachten, prächtigen Gewändern sangen sie vor unserer Wohnungstür und segneten unser Haus. Gesammelt wurde für Flüchtlingskinder in Malawi und weltweit. Der Auftritt hat unsere Tochter und unseren Sohn sehr beeindruckt. Die Gruppe bekam Apfelsaftschorle und Kekse serviert. Alle durften nochmal auf die Toilette gehen. Als sie wieder weg waren, schauten wir auf dem Globus, wo sich Malawi befindet. Wir suchten im Internet nach mehr Informationen. Und irgendwann kamen unsere Kinder darauf, dass es Ihnen eigentlich sehr gut geht, in ihren unaufgeräumten Kinderzimmern. Aha.

Koenige_1200

Silvester 2013

Silvester_2014_120031.12.2013. Wir sind wieder zu Hause und feiern Silvester in unserem Kiez. Gott sei Dank.  Obwohl ich es mir immer sehr gut überlege, wem ich ein „gesegnetes“ Weihnachstfest wünsche und bei wem ich es bei „schönen Feiertagen“ belasse, ein „gesegnetes neues Jahr“ zu wünschen fällt mir gar nicht schwer. Dafür muss man nicht katholisch, nicht hinduistisch oder sonst wie gläubig sein. Sondern einfach nur demütig und dankbar. Es liegt so vieles nicht in unserer Hand. Ich wünsche Euch allen ein gesegnetes neues Jahr 2014!

 

Vorabendgottesdienst

AutofahrtAuf Familienbesuch. Mit dem Auto zur Kirche. In der Dunkelheit. Durch den Regen. Übers Land. Weit übers Land. Die Gemeinde ist für mich als Außenstehende auf viel zu viele Dörfer verteilt. Jede noch so kleine Kirche ist mal dran. Der Gemeindebrief unübersichtlich. Der Webauftritt nicht gepflegt. Es funktioniert trotzdem. Ist aber mühsam. Und auch nicht sehr einladend. Kein Wunder. Mir kommt es so vor, als gäbe es dort nur den harten Kern. Den ganz harten. Ich fühle mich nicht wohl. Und habe ein schlechtes Gewissen dabei. Weil ich alle verstehe, die vor so etwas wegrennen. Dann doch lieber ein bisschen Esoterik. Oder gar nix.

 

Christmette Heilig Abend 2013

Christmette_120024.12.2012, 23 Uhr. Einer schläft. Alles wacht. Unser jüngster Sohn ist während der Christmette eingeschlafen und war auch nach dem Gottesdienst nicht mehr zu wecken. Komisch, wir waren in der vollbesetzten Kirche die einzige Familie mit Kindern. Ja, es gibt einen Kindergottesdienst mit Krippenspiel am Nachmittag. Aber die Atmosphäre dort ist nicht mit der nächtlichen Feststimmung in der Kirche zu vergleichen. Keine Unruhe, nur tiefseelige Ergriffenheit. Doch, das Heimschleppen hat sich gelohnt.

 

Paris Père Lachaise

20140814_130303_resized_114.8.2014, Paris. Friedhofstourismus. Dieser Begriff beschreibt ungefähr das, was man an einem Vormittag im August auf dem größten Friedhof von Paris erleben kann: Père Lachaise. Mit Rucksäcken  und Lageplänen erkunden ganze Trauben von Touristen die Wege und Gräber der stadtähnlichen Anlage. Die Hauptstraßen haben Namen und sind mit dem Autor befahrbar. Einige der Gräber sind so groß wie Gartenpavillons. Überlebensgroße Engel aus Marmor bewachen die Eingänge der Mausoleen. Kunstvoll gehauene Steine verzieren die Fundamente von Obelisken. Manche Areale wiederum sehen ungepflegt aus. Die Gräber sind zerfallen, Gitter rosten windschief vor sich hin, das Moos wächst auf den Steinen. Auf dem Boden liegt mitten im Sommer eine dicke Laubschicht. Dorthin verirrt sich fast niemand. Es ist still. Und ein bisschen unheimlich. Folgt man dann wieder dem Menschenstrom, gelangt man an das Grab von Jim Morrison. Ein Baum ist mit einer Bastmatte geschützt, weil er immer wieder mit Kaugummis beklebt wird. Um das Grab herum ist ein ganzes Areal abgesperrt. Man trifft sich dort, unterhält sich, lacht und raucht. Nur ein paar Schritte weiter, öffnet sich ein Platz mit Bänken. Darauf sitzen Menschen und essen. Ein Autokonvoi rollt vorbei. Angeführt von einem schwarzen VW-Bus, in dessen Fond sich ein Sarg mit Blumenkränzen befindet. Neugierige Blicken mustern die Angehörigen. Die Trauernden weinen hemmungslos. Jemand knipst das.

Ökumenischer Gottesdienst im ZKM

20140323_184009Sonntag, 23.03.2013. Ein ökumenischer Gottesdienst im Rahmen der Ausstellung Global Activism im Kalsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) am Sonntagabend. In einem der Lichthöfe der ehemaligen Munitonsfabrik war mitten zwischen den Ausstellungstücken bestuhlt. Davor ein Stehpult, ein Mikro, fertig. Ja, ja, auch hier das übliche Publikum, so Ü60. Und auch das Musikprogramm ziemlich klassisch: mickriger Gesang bei den Bob-Dylan Songs (englisch!), die von einem netten jungen Mann auf der Gitarre begleitet wurden. Und ziemlich schepprige Elektro-Orgel, die von einem altehrwürdigen Profiorganist bearbeitet wurde.

wallinger_1200Aber: das war gut. Sehr gut! Weil es mir so schön weit weg von Kirchenmuff vorkam. Weil es politisch war. Weil es in einem Rahmen stattfand, der nicht nach katholischem Prunk oder evangelischem Pietismus roch. Man wurde direkt konfrontiert, zum Beispiel mit einem Stück des Originalzauns der Wutbürger von Stuttgart 21 oder einer Installation aus Zelten, wie man sie beim occupy-Protest vor den Frankfurter Bankentürmen und im Gezi-Park gesehen hat. Auch Marc Wallingers Installation gegen den Irak-Krieg, die er 2007 vor Westminster aufgebaut hatte, war ausgestellt. Da fiel mir doch gleich der Text von letztem Sonntag aus Mt. 17, 7b wieder ein: Steht auf, habt keine Angst! Und genau mit dieser Haltung bin ich in die Woche gegangen. Danke!

20140323_195014Weitere Infos auf:

Deutschlandradio Kultur

Spiegel Online Kultur

Holy holy holy!

AR_208_Seraphim_Und ich hatte mich schon gewundert, ob die sechsflügeligen Engel aus der Mode gekommen sind. Mir gefallen sie. Seraphim, Cherubim und andere Sorten. Nein, ich kenne mich nicht sehr gut in der Engelhierachie aus. Aber ich weiß, dass die Seraphim um Gottes Thron schwirren und „Heilig, heilig, heilig!“ singen. Oder schreien. Mit einem Paar Flügel halten sie sich dabei die Augen zu. Mit einem anderen Paar Flügel bedecken sie ihre Füße. Warum eigentlich? Und mit dem dritten Paar fliegen sie. Wohin? Direkt in die Welt der Mangas. Hoohoohooly!

Links: Seraph aus dem Kloster Nea Moni auf der griechischen Insel Chios. Gefunden auf wikipedia.

Rechts: Picture by akarui.Online Art Community www.deviantart.com.

Christmette Heilig Abend 2013

Christmette_120024.12.2012, 23 Uhr. Einer schläft. Alles wacht. Unser jüngster Sohn ist während der Christmette eingeschlafen und war auch nach dem Gottesdienst nicht mehr zu wecken. Komisch, wir waren in der vollbesetzten Kirche die einzige Familie mit Kindern. Ja, es gibt einen Kindergottesdienst mit Krippenspiel am Nachmittag. Aber die Atmosphäre dort ist nicht mit der nächtlichen Feststimmung in der Kirche zu vergleichen. Keine Unruhe, nur tiefseelige Ergriffenheit. Doch, das Heimschleppen hat sich gelohnt.

 

Evangelische Martinskirche Gruibingen

3.11.2013, Sonntagsgottesdienst bei einer Pfarrerin, die vier Kinder hat, predigen kann und gut aussieht. In einer Kirche mit mittelalterlichen Fresken, in die ziemlich scheußliche Fenster hineingehauen wurden. Oh Jesses! Alles wie im richtigen Leben, da in Gruibingen auf der Schwäbischen Alb. Hat uns sehr gut gefallen.

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Taufe meiner Nichte Emma

Sonntag, 29. September 2013, Altdorf, Bayern. Wir haben unsere Toten in der Familie. Und wir haben unsere Kinder. Es ist nicht auszuschließen, dass sie miteinander in Verbindung stehen. Immerhin ist die kleine Emma am Todestag ihrer viel zu früh gestorbenen Oma geboren. Ich finde das unheimlich. Und sehr tröstlich.

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Maria Himmelfahrt 2013

Die Aufnahme Marias in den Himmel. Ein Dogma. Naja, das halte ich für ein bisschen übertrieben. Dafür gibt es zur Feier des Tages Weihrauch! Weihrauch im Gottesdienst ist das Allerschönste überhaupt.

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Die ganze Kirche duftet. Nach Weihrauch und Kräutern, die um den Altar liegen und von denen sich jeder ein Sträußchen mit nach Hause nehmen kann. Na klar, die sind schön gesegnet, mit Weihwasser und allem drum und dran. Heute bin ich gern katholisch.

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Das dämliche Dogma hab ich am Ende des Gottesdienstes vor lauter Weihrauch schon wieder vergessen. Und meine Sorgen und Ängste auch. Die sind gleich mit verdampft. Wirkt.

Das Versagen der Religionen

Mann. Natürlich: immer wieder die Frage nach dem Namen. Frido Mann. Lieblingsenkel von Thomas Mann. Auch an diesem Abend die Einstiegsfrage: „Wie lebt es sich mit diesem Namen?“ Darauf gibt er eine abgeklärte Antwort. Ungefähr: „Mal so. Mal so.“ Nachlesen kann man das alles in seiner Autobiografie „Achterbahn. Ein Lebensweg“. Heute Abend geht es um sein neues Buch „Das Versagen der Religionen. Betrachtungen eines Gläubigen“, erschienen im Kösel Verlag.

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Frido Mann ist also nicht nur als Enkel von Thomas Mann zu dieser Lesung gekommen. Hineingeboren in die große Schriftstellerfamilie wuchs er hauptsächlich in der Schweiz bei seiner Großmutter Katia Mann auf. Er ist studierter Musiker, promovierter Theologe und Diplom Psychologe. Als Professor für Psychologie arbeitete er bis 1990 als Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie. Heute Abend steht sein theologischer Hintergrund im Vordergrund. Oder besser: seine persönlichen Glaubenserfahrungen.

Angezogen von der Liturgie, wie er sagt, konvertierte er in seiner Jugend von der evangelischen zur katholischen Kirche. Unter Ratzinger als Papst trat er 2009 wieder aus der katholischen Kirche aus. Als Anstoß nennt er die Wiederannäherung der katholischen Kirche an den Holocaustleugner Richard Williamson. Auch interessant: sein Sohn ist Quäker.

Nach der kurzen, persönlichen Vorstellung beginnt er, aus seinem neuen Buch zu lesen: „Aber auch die heute besonders in Europa wachsende Zahl der Konfessionslosen, der aus der Kirche Ausgetretenen oder der reinen Steuerzahlungschristen, die nicht (mehr) an einen persönlichen Gott glauben wollen und daher auf eine Teilnahme am kirchlichen Gemeindeleben verzichten und trotzdem ernsthaft und nachhaltig nach einem Lebenssinn suchen, stehen zahlreiche alternative Möglichkeiten offen.“

So ist es. Ich schaue mich im Publikum um. Schwer einzuschätzen, wer hier was sucht. Ungefähr 30 Leute, Altersdurchschnitt um die 70 Jahre. Ich wundere mich, dass so wenig junge Menschen da sind. Man kann Mann nur mehr Publikum wünschen. Vielleicht schon auf dem Kirchentag in Hamburg. Am Donnerstag, dem 2. Mai 2013, im Großen Saal der Patriotischen Gesellschaftist eine grundlegende Debatte über Religion angekündigt. „Ohne Tabus“ wird Frido Mann mit dem evangelischen Theologen und Kirchenkritiker Klaus Peter Jörns, dem Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer sowie der langjährigen Fernseh-Pfarrerin Mechthild Werner und Sprechwissenschaftlerin Ulrike Trebesius-Bensch diskutieren (11 bis 13 Uhr). Aber wer geht schon auf den Kirchentag?

Manns Vision: Der Glaube als individualisierter Prozess mit regionaler Prägung. Die Trennung von Kirche und Staat. Die Finanzierung nach amerikanischem Modell. Doch er selbst stellt fest: „Davon sind wir meilenweit entfernt.“ Weiter geht es in seinem Buch: „In jedem Fall hat sich nach den Entwicklungen der vergangenen Jahrhunderte vor allem im christlichen Abendland in der Einstellung der Menschen zu Religionen und zu religiöser Praxis so viel geändert, dass die Grenzen zwischen Religion, Spiritualität, Transzendenz, Transpersonalität oder auch nur dem Streben nach personeller Entfaltung, Vertiefung oder Vervollkommnung fließend geworden sind.“

Religiöse Erbauung kann also überall stattfinden. In der Kunst. Im Konzert. In der Natur. Beim Spaziergang. Mann schlägt den Bogen noch weiter. Er glaubt, dass in diesen völker- kultur- und religionsübergreifenden Erfahrungen Gemeinsamkeiten geschaffen werden, die die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam verbinden. Sein überzeugendstes Beispiel: das West-Eastern-Divan-Orchestra, ein Symphonieorchester, das sich aus jungen Musikerinnen und Musikern aus Israel, Arabien und Andalusien zusammensetzt und sich einmal im Jahr für eine Probenperiode mit anschließender Tournee trifft.

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Am Ende des Abends gibt es die Möglichkeit, das Buch zu kaufen und signieren zu lassen. Diese Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen. Und – was schreibt er hinein? Seinen Namen. Mann. Frido Mann. Sonst nichts.

Besuch in einer Moschee

Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, die Merkez-Moschee in Karlsruhe zu besichtigen. Die Türkisch Islamische Gemeinde in Karlsruhe wurde vor 25 Jahren gegründet und gehört dem Dachverband DITIB an. Sie hat nach eigenen Angaben ca. 250 Mitglieder. Zum Freitagsgebet versammeln sich dort regelmäßig bis zu 800 Muslime. An Feiertagen ist die Zahl deutlich höher. Das Gebäude befindet sich in einem alten Fabrikgebäude in einem gut entwickelten Industriegebiet.

Nicht nur der Gebetsraum sei inzwischen zu klein, auch die Gemeinschafts- und Versammlungsräume. Deshalb hat die Gemeinde angekündigt, dass sie ein neues Gemeinde- und Begegnungszentrum bauen möchte. Die Reaktionen darauf in der lokalen Presse und in den Kommentarspalten der hiesigen Onlinezeitung spiegeln zum Teil große Ängste, gewollte Halbwahrheiten und echten Hass wider.

Während der Führung erklären der Imam Ahmet Arslan, sowie zwei Gemeindemitglieder (eine Frau und ein Mann), wie eine Moschee aufgebaut ist. Wir erfahren, wie die Gemeinde organisiert ist. Auch die Grundzüge des muslimischen Glaubens werden skizziert. Die Atmosphäre ist entspannt und offen. Auf jede Frage wird eine Antwort gegeben. Kritische Themen wurden allerdings nicht angesprochen. Ich selbst wollte wissen: Wo wird in der Moschee der Koran aufbewahrt? (Er liegt im Bücherregal. Er darf überall sein. Nur nicht auf dem Boden.) Was ist in der Kaaba? (Nichts. Dann folgt die etwas längere Geschichte von Adam, der das Haus in Mekka baute. Bis hin zu Abraham, der es wieder aufbaute.)

Wir haben Kinder dabei. Auf die Frage, ob es nicht störe, wenn sie im Gebetsraum rumrennen, erhielt ich vom Imam die Antwort, dass er selbst drei Kinder habe. Er hat dabei gelacht. Und habe ich mich verhört, oder hat er tatsächlich gesagt, dass die hier ab und zu Fußball spielen?! Wir haben während der Führung den Gebetsraum, den Aufenthaltsraum und den Versammlungsraum  gesehen. Und die Küche, mmh, lecker! Dort laufen schon die Vorbereitungen für das 15. Kulturfest. Es wird an Pfingsten stattfinden. Ich glaube, da schaue ich nochmal vorbei. Mich hat nämlich ganz besonders die Herzlichkeit der Frauen begeistert. Die meisten Jüngeren sprechen fließend Deutsch. Ihre Kinder gehen mit unseren in die Schule. Es ist diese kommende Generation, die den Religions- und Integrationsfrieden leben muss. Wir können ja schon mal damit anfangen.

 

Esel, welcher Esel?

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Palmsonntag. Der Beginn der Karwoche. Der Sonntag vor Ostern. Der Pfarrer kommt im blutroten Gewand. Die Kinder haben Palmwedel mit bunten Bändern gebastelt. Mit Weihwasser und Weihrauch wird heute richtig katholisch gefeiert.  Auch die Prozession vom Hinterhof der Kirche zum Hauptportal ist nicht peinlich. Vielleicht, weil dabei nicht gebetet und gesungen wurde. Es war eher so eine Art Spaziergang. Mein sechsjähriger Sohn erkennt die außergewöhnliche Situation und ist zufrieden. Die Kinder sind immer ein guter Gradmesser, ob die Dramaturgie stimmt.

Die Kirche ist voll. Sehr voll. Wo sind die denn bitte sonst alle? Ich singe heute besonders laut mit bei „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Meine Lieblingsstelle in der Liturgie, das Halleluja, wird es bis Ostern nicht geben. Aber dann wieder mit Glockenklang und Geschepper!

Das Evangelium von der Passion Christi wird mit verteilten Rollen gelesen. Ich bin dankbar, dass alle drei Redner klar und deutlich sprechen können. Das ist nicht selbstverständlich. Nuschler, Tuschler, Zischler – alles schon erlebt. Und die Passionsgeschichte ist lang, wenn sie vorgelesen wird. Ungefähr zwanzig Minuten. Ein bewegender Moment:  an der Textstelle, wo Jesus am Kreuz stirbt knien alle in der Kirche nieder. Und verharren eine Weile in Stille. Stille. Eine kleine Hand schiebt sich in meine. Aha, wirkt.

Neue Erkenntnisse? Ja, man muss erhöht werden, um erniedrigt zu werden.  Was ich nochmal nachgucken muss: welche Rolle spielt der Esel? Ansonsten: nix zu meckern.