Tod und Leben beim Wein
Der Tod und das Leben
verabredeten sich zu einem Glas Wein.
Es war Sonntag und draußen regnete es.
Die Kneipe war voll und sehr laut.
Zum Glück hatten sie ganz hinten
einen Tisch reserviert.
Sie nahmen Platz und
bestellten den Wein.
Wie immer rot für den Tod
und weiß für das Leben.
Oder umgekehrt?
Es ist lange her.
Ich weiß es nicht mehr.
„Zum Wohl!“, sagte das Leben.
„Auf Deine Gesundheit!“,
antwortete der Tod.
Sie kannten sich lange,
doch waren sie allein,
so war es, so ist es,
so wird es immer sein,
der Tod und das Leben beim Wein.
„Leben“, sagte der Tod,
„ich bin müde zu sehen,
wie Menschen sterben.“
Da sagte das Leben:
„Tod, ich kann dich so gut
verstehen. Mir geht es genau so.
Ich bin müde zu sehen,
wie Menschen geboren werden.
Prost!“
„Leben“, sagte der Tod,
„Ich habe die ganzen Morde,
Begräbnisse und Trauerreden satt!“
Da sagte das Leben:
„Tod, ich kann dich so gut verstehen.
Mir geht es genauso.
Ich habe die ganzen
Taufen, Geburtstage
und Geburtstagsreden satt!“
Sie kannten sich lange,
doch waren sie allein,
so war es, so ist es,
so wird es immer sein,
der Tod und das Leben beim Wein.
„Lass uns eine Weile tauschen“,
sagte der Tod.
„Gute Idee!“, sagte das Leben.
Und sie tauschten.
Sie tranken ihren Wein,
schwiegen gemeinsam,
rauchten ihre Zigaretten.
Und als es aufhörte zu regnen, gingen sie.
„Lebewohl, Leben“, sagte der Tod.
„Todsicher, Tod“,
antwortete das Leben.
Und seitdem ist es so.
Sie kannten sich lange,
doch waren sie allein,
so war es, so ist es,
so wird es immer sein,
der Tod und das Leben beim Wein.
Alvaro Solar
Socken, Lügen und Wein
Haben Sie heute schon gelogen?